Buchstaben sind keine Laute!
Warum hält sich ein Akzent so hartnäckig, selbst wenn man schon fließend Deutsch spricht? Ein möglicher Grund liegt darin, wie wir als Erwachsene eine Fremdsprache lernen, nämlich zu einem großen Teil über das Lesen. Aber: Buchstaben sind keine Laute!
Die Beziehung zwischen Buchstaben und Lauten
Aus verschiedenen Gründen fällt es häufig schwerer, die Aussprache zu verbessern, als Grammatik- oder Wortschatzkenntnisse zu erweitern. Ein Grund für viele Aussprachefehler ist aber vor allem, dass wir eine Fremdsprache in der Regel von Anfang an über das Lesen lernen. Dabei übertragen wir oft bereits erworbene Regeln zur Laut-Buchstaben-Beziehung aus unserer Muttersprache in die Fremdsprache. Ohne weiteres Wissen neigen wir dazu, Buchstaben und Buchstabenkombinationen zunächst so auszusprechen, wie wir sie in unserer Muttersprache aussprechen würden. Oder wir ordnen einem Buchstaben grundsätzlich nur einen Laut zu, obwohl es sich um unterschiedliche Laute handelt (Beispiel: Beet vs. Bett).
Es scheint, als würden wir der Schreibung mehr vertrauen als dem eigenen Gehör. Was meine ich damit? In vielen Fällen kommt es zu Aussprachefehlern, obwohl man einen Laut eigentlich richtig wahrnehmen kann oder sogar aus der eigenen Sprache kennt. Ich möchte dir ein paar Beispiele nennen.
Beispiel 1: Der Buchstabe z
Ein simples Beispiel ist der Buchstabe <z>, der von sehr vielen Deutschlernenden falsch ausgesprochen wird. Die Lautzuweisung im Deutschen mag ungewöhnlich sein, aber phonetisch betrachtet ist die Aussprache überhaupt nicht so kompliziert.
Wenn man weiß, dass der Buchstabe <z> als [t͡s] ausgesprochen wird, sind Wörter wie Zeit, Zoo oder Zeh eigentlich problemlos auszusprechen. Die Beispiele sind nicht zufällig ausgewählt, denn bei falscher Aussprache ändern die Wörter ihre Bedeutung: seit (oder seid), so, See.
Vergleichen wir die Schreibweise mit der Lautschrift. Zu diesem Thema gibt es übrigens schon einen eigenen Artikel: IPA: Aussprache verbessern durch Lautschrift.
Zeit | [t͡saɪ̯t] |
seit | [zaɪ̯t] |
Zoo | [t͡soː] |
so | [zoː] |
Zeh | [t͡seː] |
See | [zeː] |
Vielleicht sorgt das IPA-Symbol [z] für Verwirrung. Es steht für einen stimmhaften Laut, wie zum Beispiel in der englischen Aussprache von zoo. Hier siehst du also ganz deutlich: Ein Buchstabe ist kein Laut. Derselbe Buchstabe kann in verschiedenen Sprachen unterschiedlich ausgesprochen werden.
Beispiel 2: Der Buchstabe r
Das R ist ein viel gefragtes Thema in meinen Aussprachetrainings. Dabei geht es vornehmlich um die Aussprache des hinten gesprochenen Reibe-R. Viel wichtiger jedoch ist die Unterscheidung zwischen konsonantischem und vokalischem R.
Achte mal beim Zuhören ganz genau darauf, wie oft du das R wirklich hörst. Du wirst feststellen, dass ein geschriebenes R nur selten als R gesprochen wird. Viel häufiger sprechen wir es als Tiefschwa [ɐ], zum Beispiel in nur, weiter, vergessen, Fahrt, anders etc. Es führt zwar nicht zu Missverständnissen, wenn du hier ein R aussprichst, aber es macht dir das Leben leichter, wenn du es richtig aussprichst, da du das schwierige Reibe-R viel seltener brauchst.
Beispiel 3: Die Buchstabenfolge -er-
Und schließlich noch ein spezifischeres Beispiel: Wenn die Erstsprache Englisch ist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, die Buchstabenfolge <er> als [ɜ] oder [ɝ] zu realisieren. Dieser Laut klingt in deutschen Ohren in etwa wie ein Ö. So nehmen wir das Wort lernen ([lɛɐ̯nən] oder [lɛʁnən]) bei falscher Aussprache eher als „lörnen“ ([lœɐ̯nən]) wahr.
Das merkt man umgekehrt übrigens auch am deutschen Akzent im Englischen: learn wird dann gerne mal als [lœɐ̯n] statt [lɝn] ausgesprochen, wobei hier zwei Fehlerquellen zugrunde liegen. Wir filtern zum einen den englischen Vokal als [œ], es handelt sich demnach um einen Hörfehler, und zum anderen wenden wir die Regel an, <r> nach einem Vokal als [ɐ] auszusprechen. Hier erfolgt eine falsche Zuordnung von Buchstaben und Lauten.
Obwohl die englische Sprache also den Laut [ɛ] kennt, kommt es durch Hinzufügen des Buchstaben <r> zu einer abweichenden Aussprache. Die ursprünglich erlernte Buchstabenkomination ist hier demzufolge ausschlaggebend für den Aussprachefehler, nicht das falsche Hören.
Mehr hören, weniger lesen
Wenn du deine Aussprache verbessern und deinen Akzent reduzieren willst, empfehle ich dir, viel mehr zu hören als zu lesen. Podcasts, Hörbücher, Videos, deutschsprachige Menschen in deinem Umfeld – die Auswahl ist riesig. Nutze auch die Möglichkeit, die Wiedergabegeschwindigkeit zu reduzieren, um dich noch gezielter auf die einzelnen Laute konzentrieren zu können. Gewöhne dich an die Laute und entwickle ein Gefühl für eine natürliche Aussprache. So orientierst du dich insgesamt weniger am Schriftbild.
Dennoch ist es durchaus sinnvoll, sich mit den Regeln der Laut-Buchstaben-Beziehung im Deutschen zu befassen. Dadurch verstehst du noch besser, woher möglicherweise deine Aussprachefehler kommen, und du kannst schneller erkennen, wie ein Wort ausgesprochen werden muss, wenn du es dir zum ersten Mal in schriftlicher Form begegnet. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Doppelkonsonanten wie in doppelt oder wenn bedeuten beispielsweise nicht, dass der Konsonant länger gesprochen wird, sondern sie zeigen an, dass man den Vokal davor kurz und ungespannt spricht. Der Digraph <ch> wird nach Hinterzungenvokalen (a, o, u und au) als [x] (ach-Laut) gesprochen, in den meisten anderen Fällen als [ç] (ich-Laut).
Im Workshop „Sprechen, wie man schreibt?“ lernst du nicht nur die wichtigsten Regeln zur Laut-Buchstaben-Beziehung im Deutschen, sondern erfährst auch, wie du das Lautschriftsystem IPA (Internationales Phonetisches Alphabet) zur Verbesserung deiner Aussprache einsetzen kannst.
Fazit
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass Buchstaben und Laute nicht dasselbe sind. Wenn du dich ein bisschen mit den Rechtschreib- bzw. Ausspracheregeln des Deutschen befasst, wirst du sehen, dass du schon viele Aussprachefehler ganz einfach vermeiden kannst. Höre viel, damit du dich an eine authentische Aussprache gewöhnst. Und wenn du noch tiefer in die Materie einsteigen willst, beschäftige dich auch mit dem IPA, da es ein unglaublich nützliches Werkzeug beim Aussprachetraining ist. Hol dir für den Einstieg dafür am besten meine kostenlose PDF „Bessere Aussprache durch Lautschrift“.
Welche Aussprachefehler, die mit der Schreibung zu tun haben, hast du bisher gemacht? Ich freue mich über einen Kommentar!